Wenn der Eros tanzt – Mediation als innere Bewegung

Inspiriert von einer besonderen Erfahrung vertiefte sich ein Blick, der mein Wirken als Mediator und Erwachsenenbildner seit jeher trägt:

Mediation nicht nur als Technik zu verstehen, sondern als innere Bewegung des Verstehens und Werdens.

Diese Sicht – die letztlich auch zur Entwicklung des Ad_Monter Meta Modells (A_MMM) führte – erhält in diesem Essay eine neue Resonanz: vom Begehren als lebendiger Sehnsucht nach Verbundenheit und Sinn hin zur Resonanz, in der Wandel nicht erzwungen, sondern ermöglicht wird.

Eine Einladung, Mediation als Weg des Werdens zu denken – nicht unmittelbar zum Ziel, sondern zu einem anderen Sehen.

Vom Begehren zur Resonanz

Prolog: Ein Tanz in fünf Reden

Es war anlässlich einer Geburtstagsfeier, irgendwo zwischen der Erwartung eines festlichen Abends und der leisen Hoffnung auf etwas Unerwartetes. In einem avantgardistischen Tanzstück wurden die fünf Reden über den Eros aus Platons Symposion nicht erzählt, sondern getanzt – verkörpert, verdichtet, zerlegt in Wortfragmente und Bewegungen.

Da tanzte Aristophanes’ Geschichte der kugelrunden Urmenschen, die nach ihrer verlorenen Hälfte suchten, ebenso wie Phaidros’ Lobpreis der Liebe als höchste Tugend. Pausanias unterschied zwischen der edlen und der niederen Liebe; Eryximachos zeigte die Harmonie der Liebe in Körper und Kosmos. Und schließlich erschien Socrates – in den Bewegungen einer Tänzerin, die auf das Unsichtbare lauschte: auf die Worte Diotimas, jener geheimnisvollen Priesterin, die ihn in die wahre Natur des Eros eingeführt hatte.

In einem Moment verwandelte sich die Bühne in einen Resonanzraum: Körper und Wortfragmente verschmolzen zu einer Ahnung davon, was Verstehen sein könnte – ein Werden, ein Lauschen, ein Gehaltensein.

Etwas an Diotimas Auslegung des Eros – als Bewegung von der Anziehung einzelner schöner Körper hin zum Schauen des reinen Schönen selbst – erinnerte mich unmittelbar an die Essenz des A_MMM:

an die Kunst des Begleitens, des Raumhaltens, des Reifens – ohne Festhalten oder Forcieren.

Dieser Essay ist eine Einladung, Mediation einmal nicht vorrangig als Technik oder Konfliktlösungsverfahren zu betrachten, sondern als innere Bewegung des Verstehens.

Die Leiter der Liebe

Diotima lehrt Socrates: Wer sich dem Eros verschreibt, beginnt mit der Liebe zu einem einzelnen schönen Körper. Doch bleibt er nicht stehen. Er erkennt die Schönheit aller Körper. Bald darauf entdeckt er die Schönheit der Seele.

Von dort steigt er weiter zur Schönheit von Wissenschaften, Ordnungen, inneren Prinzipien. Und schließlich, so Diotima, erblickt er das Schöne an sich: reines Sein, unvermischt mit Körpern, unvermischt mit Formen – ewig, unbeweglich und doch Ursprung aller Bewegung.

Liebe ist in dieser Sichtweise nicht Besitz, nicht bloß Begehrenssucht.
Sie ist ein innerer Weg: eine Bewegung von der Bedürftigkeit zur Freiheit, von der Anhaftung zur Resonanz, vom Begehren zur Gegenwärtigkeit.

Die parallele Bewegung des Mediators

Was der Liebende auf der Leiter der Liebe erfährt, erfährt auch der Mediator, wenn er sich auf die Kunst des Verstehens im Sinne der Ad_Monter Matrix Mediation einlässt.

Er begegnet zunächst dem Konflikt (c-it) – dem Gegenstand, den Spannungen, den Geschichten.
Dann spürt er, was dieser Gegenstand in ihm berührt (c-me) – welche Gefühle, Deutungen oder Hoffnungen sich regen.
Er öffnet sich anschließend Resonanzräumen, die über das Einzelne hinausreichen (c-us) – für das, was zwischen den Beteiligten und im gemeinsamen Feld entsteht.
Und schließlich formen sich neue Ordnungen, Vereinbarungen, Gestaltungen (reifes c-it) – nicht gemacht, sondern geworden.

Auch der Mediator verlässt die Ebene der „einzelnen schönen Körper“ – der isolierten Positionen oder schnellen Lösungen. Er hebt seinen Blick. Er vertraut auf die Schönheit des Prozesses selbst.

Resonanz statt Lösung

Diotima spricht von der Geburt in der Schönheit. Auch der Mediator strebt keine schnelle Lösung an, sondern hütet den Raum, in dem etwas Neues geboren werden kann.

Er liebt nicht die rasche Einigung, nicht den effizientesten Vertrag, sondern die organische Entfaltung von Verstehen.

Er weiß: Das Stimmige zeigt sich nicht durch Druck, sondern durch Reifung.
Nicht durch Machen, sondern durch Möglichmachen.

So begleitet der Mediator wie ein „platonischer Liebender“:

  • Er spürt die Schönheit nicht nur im Sichtbaren, sondern auch im Werdenden.
  • Er hält inne, wo andere drängen.
  • Er lauscht auf das Ungeborene – nicht nur auf das Gesagte.

Mediation wird zu einer Kunst der Resonanz:
eine Praxis, in der das Wesentliche nicht genommen, sondern empfangen wird.

Ausblick: Wandel als Bewegung im Schönen

In einer Zeit, in der Wandel oft mit Effizienz, Disruption und schneller Anpassung gleichgesetzt wird, setzt Mediation & Wandel einen anderen Akzent: Wandel als innere Reifung.

Wandel als Resonanz auf das, was im Feld der Beziehungen lebendig ist – nicht als äußere Steuerung, sondern als stille Geburt neuer Ordnungen.

Vielleicht liegt im platonischen Eros jene Kraft, die unsere Arbeit als Mediator:innen durchdringen kann:
Nicht als Technik. Nicht als Verfahren. Sondern als Haltung – als liebevolle, lauschende, erkennende Bewegung hin zu dem, was wirklich werden will.

In diesem Sinn lade ich Sie ein:
Lassen wir uns vom Eros der Resonanz begleiten – in jeder Mediation, in jedem Wandel, den wir nicht machen, sondern ermöglichen.

Einladung zur Reflexion

Wie sähe Begleitung aus, wenn wir dem Werdenden mehr vertrauten als dem Gemachten?
Ich lade Sie ein, Ihre Perspektiven zu teilen.

Mein Dank gilt der SILK Fluegge Tanzkompanie, deren eindrucksvolle Inszenierung über den Eros jene Resonanz stiftete, aus der dieser Essay entstand.
Mehr zur Kompanie finden Sie unter: https://www.silk.at