Mediation: Von Verdichtung zu Resonanz
Prolog – Ein Abend im Brucknerhaus
Ein Konzertabend im Brucknerhaus Linz. Auf dem Programm: Erich Wolfgang Korngolds Sinfonie in Fis, 1952 vollendet, 1954 uraufgeführt. Ein Werk, das selten zu hören ist – und doch eine ganze Welt in sich trägt: Wien und Exil, Sehnsucht und Bitterkeit, Hoffnung und Zurückweisung.
Dirigent Markus Poschner sagte in seiner Einführung, diese Partitur verlange von den Musiker:innen, „aus Verdichtung Klang zu machen“. Dieser Satz öffnet ein Tor. Denn Verdichtung in Klang zu verwandeln – das ist nicht nur eine musikalische, sondern auch eine menschliche Aufgabe. Wer Konflikte begleitet, weiß um das Gewicht solcher Dichte.
Hier setzt das Ad_Monter Meta Modell (A_MMM) an: Es beschreibt den Weg von der Verdichtung zur Resonanz entlang der vier Felder der Admonter Raute.
Die Admonter Raute – vier Felder und drei Wege als Struktur für Selbstklärung, Dialog und Gestaltung.
c-it¹ – Der Gegenstand: Verdichtung sichtbar machen
So klingt Verdichtung. Ein Stoff, der sich nicht von selbst ordnet, sondern von allen Seiten zugleich drängt. Im ersten Satz von Korngolds Symphonie hört man das deutlich: keine melodisch fließende Melodie, die sich wie bei Mozart oder Brahms entfaltet, sondern kurze Tonfolgen, Schläge, abgebrochene Linien. Musiker:innen nennen das Synkopen oder Quartenschichtungen – für das ungeschulte Ohr klingt es schlicht: unruhig, schwer greifbar, immer wieder auf einem einzigen Ton verharrend.
Gerade darin liegt die Herausforderung: Die Musiker:innen müssen nicht eine schöne Melodie tragen, sondern aus lauter Differenzen Klang machen. Sie dürfen das Schiefe nicht glätten, sondern müssen es austragen – und in einen gemeinsamen Atem verwandeln.
Genau so ergeht es Mediator:innen. Auch sie sitzen nicht einer „Melodie“ gegenüber, die eine runde Geschichte erzählt, sondern einem Geflecht aus isolierten Positionen, verdichteten Sätzen, scheinbar widersprüchlichen Fragmenten. Für Außenstehende oft kaum nachvollziehbar, für die Parteien selbst jedoch von tiefer Bedeutung.
Die Versuchung ist groß, vorschnell zu ordnen, zu harmonisieren, die „schöne Linie“ zu suchen. Doch das A_MMM lehrt: c-it¹ bedeutet, das Dichte auszuhalten. Erst wenn die dissonanten Akkorde gespielt, die widersprüchlichen Positionen ausgesprochen und im Raum hörbar geworden sind, kann sich der Weg öffnen.
So wie Korngolds Musiker:innen Differenzen in Resonanz verwandeln, verwandeln Mediator:innen Widersprüche in Gesprächsräume. Das Fragmentarische ist nicht das Problem, sondern der Anfang.
c-me – Selbstklärung: Bitterkeit anerkennen
Der zweite Satz, das Scherzo, stürzt uns in fiebrige Bewegung. Rasch, scharf, spöttisch fast. Ein Tanz ohne Ruhe, voller innerer Spannung. Selbst das geheimnisvolle Trio mit seiner absteigenden Linie bringt nur Momente der Erleichterung, ehe die Unruhe wiederkehrt.
So klingt Selbstklärung. Auch in Konflikten drängt es oft nach vorn, hektisch, getrieben. Bitterkeit bricht hervor, Zorn sucht ein Ventil. Es ist die Phase, in der nichts geordnet klingt, sondern alles in fiebrigen Gesten aufeinanderprallt.
Korngold kannte diese Erfahrung. Nach Jahren im amerikanischen Exil kehrte er nach Wien zurück – und stieß nicht auf die ersehnte Wärme. Überliefert ist, dass er sinngemäß mit den Worten empfangen wurde: „Schön, dass Sie wieder da sind – und wann reisen Sie wieder ab?“ Freundlichkeit im Ton, Zurückweisung im Kern.
So trägt das Scherzo die Erfahrung des Fremdseins, des Nicht-mehr-Dazugehörens. Und auch das gehört zur Mediation: c-me heißt, Bitterkeit nicht zu beschönigen. Erst wenn Zorn, Enttäuschung und Fremdheit Raum haben, kann der Prozess weitergehen.
c-us – Der Dialog: Der Kondukt als Resonanzform
Der dritte Satz, das Adagio, ist der längste. Ein Trauermarsch, doch nicht von Tristesse, sondern von Würde getragen. Poschner sprach vom „Kondukt“ – jenem Begriff, den Gustav Mahler für seine feierlichen Trauerzüge verwendete.
Hier schreitet die Musik schwer, langsam, würdevoll. Die Stimmen gehen nebeneinander, hören einander zu, ohne sich zu überlagern. Dazu erklingen Zitate aus Korngolds Filmmusiken, Erinnerungen, die er wie Gefährten mitführt. Es ist, als würde er im Trauerzug seines eigenen Lebens schreiten – Vergangenheit und Gegenwart im Geleit.
So klingt Dialog. Kein Wettstreit, keine Konkurrenz, sondern ein Nebeneinander, das Resonanz ermöglicht. Gespräch als Kondukt. Schritt für Schritt, im Bewusstsein, dass man nicht verschmilzt, aber gemeinsam geht.
Das A_MMM nennt dies c-us – Dialogisierung. Eine Gesprächskultur, die nicht in erster Linie Antworten sucht, sondern Resonanz zulässt. Stimmen begleiten sich, auch im Schmerz. Das ist mehr als Methode – es ist Haltung.
c-it² – Gestaltung: Transformation ins Offene
Im Finale kehrt alles zurück. Die Themen der vorherigen Sätze erscheinen noch einmal – doch verwandelt. Nicht einfach wiederholt, sondern neu gefasst. Was zuvor zwischen Dur und Moll oszillierte, findet im Finale seinen Weg in ein triumphales Fis-Dur.
So klingt Gestaltung. Es ist keine Auslöschung der Vergangenheit, sondern ihre Transformation. Die Konflikte sind nicht verschwunden, aber sie haben eine Form gefunden, die Zukunft ermöglicht.
Das A_MMM nennt diesen Schritt c-it² – Gestaltung. Nicht die Lösung im Sinn von „alles erledigt“, sondern die Bewegung in eine tragfähige Form. Für Korngold war es die Heimkehr im Klang, die ihm das Leben verwehrte. Wien wies ihn ab, er starb 1957 in Los Angeles. Doch in seiner Symphonie gelang, was in der Realität nicht möglich war: eine Form, die trägt.
Conclusio
Korngolds Symphonie in Fis ist mehr als ein spätromantisches Werk. Sie ist eine klingende Schule der Konfliktbearbeitung. Ihr erstes Allegro zeigt, dass Verdichtung kein Fehler, sondern der Anfang ist. Ihr Scherzo lehrt, dass Bitterkeit zur Selbstklärung gehört. Ihr Adagio eröffnet den Dialog als Kondukt – würdevoll, langsam, begleitend. Ihr Finale schließlich verwandelt das Oszillierende in eine tragfähige Gestalt.
Genau dies beschreibt die Admonter Raute im A_MMM: c-it¹ → c-me → c-us → c-it². Der Weg führt von der Schwere des Anfangs über die innere Arbeit und das Geleit im Dialog hin zur Gestaltung, die Zukunft ermöglicht.
Für Governance und Beziehung bedeutet das: Konflikte sind keine Störung, sondern ein Resonanzraum. Sie fordern uns auf, das Ungelöste hörbar werden zu lassen, statt es vorschnell zu glätten. Wer diesen Weg geht, gewinnt nicht nur Lösungen, sondern eine Kultur, die trägt.
Flächen, die Tiefe werden – ein Echo aus Admont.
So wie Korngolds Symphonie das Oszillierende in Fis-Dur verwandelt, so kann auch Mediation Verdichtung in Resonanz – und Resonanz in Gestaltung – führen.
- Wo erleben Sie in Ihrer Organisation Verdichtung, die nicht sofort auflösbar ist?
- Welche Bitterkeit oder Fremdheit müsste in Ihrem Kontext erst ausgesprochen werden, bevor Gestaltung möglich wird?
- Wie könnte Gespräch als „Kondukt“ aussehen – ein Geleit, das nicht auf Einigung, sondern auf Resonanz zielt?